Freitag, 8. Juli 2011

Hoppla - kommt da die Surrogatstheorie wieder?

Im Arbeitsrecht ist es immer interessant. Da kippt der EUGH das deutsche Urlaubsrecht mit seinen Verfallfristen (hier) und das Bundesarbeitsgericht schließt sich dieser Rechtsprechung an unter Aufgabe der Surrogatstheorie (hier).

Nun kommt es zu der wirtschaftlich bzw. finanziell interessanten Frage, ob Urlaubsabgeltungsansprüch von langzeiterkrankten bzw. arbeitsunfähigen Arbeitnehmern über mehrere Jahre angesammelt werden können, mit der Folge, das nach entsprechendem Zeitablauf Urlaubsabgeltung für mehrere Jahre zu zahlen ist.

Das LAG Hamm hatte daran seine Zweifel und schlägt eine zeitliche Begrenzung für die Ansamlung von Urlaubs(abgeltungs-)ansprüchen von 18 Monaten vor, fragt allerdings den EUGH, ob dies mit Europarecht vereinbar sei (hier).

Im Verfahren vor dem EUGH wägt die Generalstaatsanwältin Trstenjak in ihrem Schlußantrag die Argumente für und wider ab. Grob zusammengefasst zeigt sich ihre Tendenz schon aus folgender Übersicht:

für Ansammlung:
- keine Aussage zur Begrenzung in Schultze-Hoff Entscheidung
- Unvorhersehbarkeit einer Arbeitsunfähigkeit und deren Ende, AU darf nicht Anlass sein, dem Arbeitnehmer Mindesturlaub zu nehmen

für Begrenzung:
- in Schultze-Hoff-Entscheidung gab es keinen Anlass, sich mit einer Begrenzung auseinanderzusetzen
- aus Urlaubszweck (Erholung, „Kraft tanken“) folgt das Erfordernis einer zeitnahen Inanspruchnahme
- keine Steigerung der Erholungswirkung bei Ansammlung
- Nachteile für wirtschaftlich & soziale Integration des Arbeitnehmers bei Ansammlung (Kündigungsbedürfnis des Arbeitgebers um finanzielle „Schäden“ zu vermeiden ) und finanzielle Belastung für Unternehmen
- Degenerierung des Urlaubs zu einem bloßen Wirtschaftsgut (unzutreffendes Verständnis der Urlaubsabgeltung als Abfindung – Vermeidung von SV-Beiträgen durch Übertragung der Abgeltungsansprüche in Abfindungsbetrag)
- Nicht zu rechtfertigende Begünstigung von Arbeitnehmern bzw. Belastung von Arbeitgebern

Deshalb wird dem Gericht empfohlen, den Nationalstaaten die Möglichkeit zur Begrenzung von Urlaubsansprüchen einzuräumen, da dies dem Unionsrecht nicht entgegenstünde.

In der Begründung finden sich aber auch folgende Textpassage (Rz: 67):

"Der Abgeltungsanspruch, in den sich der Urlaubsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses umwandelt, ist kein allgemeiner Abfindungsanspruch oder Geldanspruch, sondern ein Surrogat für Urlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann(40). Diese rechtliche Qualität des Abgeltungsanspruchs als Surrogat wird auch durch den Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 gestützt. Denn danach darf der Urlaub durch eine finanzielle Vergütung „ersetzt“ und nicht „abgefunden“ werden. Er dient dem Zweck, den Arbeitnehmer finanziell in eine Lage zu versetzen, die es ihm erlaubt, seinen Jahresurlaub nachzuholen, und zwar unter vergleichbaren Bedingungen, als wenn er weiter tätig wäre und ein Urlaubsentgelt gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 beziehen würde(41). Deshalb ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen ist, auch bei der Berechnung dieser finanziellen Vergütung maßgebend. Auf diesen wichtigen finanziellen Aspekt der Urlaubsabgeltung weist der Gerichtshof in Randnr. 56 des Urteils Schultz-Hoff u. a. hin, in dem er erläutert, dass die in Art. 7 Abs. 2 vorgesehene finanzielle Vergütung verhindern soll, dass dem Arbeitnehmer wegen der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einhergehenden Unmöglichkeit, den tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, jeder Genuss dieses Anspruchs, „selbst in finanzieller Form“, verwehrt wird."

Kommt somit die vom Bundesarbeitsgericht verabschiedete Surrogatstheorie wieder? Unterfallen Urlaubsabgeltungsansprüche dann doch nicht mehr tarifvertraglichen Ausschlußfrsten? Es bleibt abzuwarten.

1 Kommentar:

  1. Die hier gestellte Frage wurde durch eine Entscheidung des BAG vom 19.06.2012 abschlägig beantwortet. Der Abgeltungsanspruch ist kein Surrogat und unterliegt nicht des Fristenregime des BUrlG.

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