Donnerstag, 27. November 2014

Anwalt und Fußball und Arbeitsrecht = 640.000 € Schadensersatz

Ein Fußballtrainer eines in der seinerzeit 2. Bundesliga spielenden Mannschaft war wenige Spieltage vor dem Abschluss der Saison 2007/2008 entlassen wurden aus seiner Verantwortung für die 1. Mannschaft. Grund waren - natürlich - sportliche Misserfolge der vom Kläger trainierten Mannschaft.

Mit einem späteren Schreiben kündigte der Verein den ursprünglich mit dem Trainer bis Ende Juni 2010 abgeschlossenen Arbeitsvertrag vorzeitig ordentlich zum 31.12.2008.

Der Trainer, der die Kündigung für unberechtigt hielt, beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Gegenüber dem Fußballverein widersprach der Anwalt namens des Trainers der Kündigung, unterließ es jedoch, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen dreiwöchigen Frist eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Der Trainer hat gemeint, dass der Anwalt deswegen seine anwaltlichen Pflichten verletzt habe und Schadensersatz schulde. Als Schaden sei ihm der Verdienst zu ersetzen, den er bei regulärer Fortdauer des Trainervertrages ist zum 30.06.2010 hätte erzielen können. Ausgehend davon, dass die Fußballmannschaft in der Saison 2007/2008 den Klassenerhalt sichern konnte, in der Saison 2008/2009 einen Platz im Tabellenmittelfeld und in der Saison 2009/2010 einen Platz im oberen Tabellenfeld erreichte, hat der Kläger einen Schaden in Höhe eines ihm entgangenen Bruttoverdienstes aus Grundgehalt und Punkteprämien von über 600.000 Euro errechnet. Dies forderte der Trainer nun vom Anwalt.
 
Das OLG Hamm hat dem Trainer ca. 330.000 Euro als jetzt bereits bezifferbaren Schaden zugesprochen und festgestellt, dass der Anwalt weitere Belastungen des Tainers aufgrund von zu entrichtenden Abgaben und Steuern bis zur Höhe von insgesamt ca. 640.000 Euro zu tragen habe.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat der Anwalt seine Pflichten aus dem Anwaltsdienstvertrag verletzt, indem er den Trainer nicht auf die innerhalb einer dreiwöchigen Frist zu erhebende Kündigungsschutzklage hingewiesen habe. Eine fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage hätte der Trainer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich geführt. Aufgrund des bis zum 30.06.2010 befristeten Arbeitsvertrages sei der Fußballverein nicht zu einer vorzeitigen ordentlichen Kündigung berechtigt gewesen. Im Falle einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage hätte der Trainer vom Fußballverein auch bei seiner Freistellung als Trainer bis zum 30.06.2010 vertragsgemäßes Gehalt beanspruchen können. Dass er sich mit dem Verein auf eine Abfindung geeinigt hätte, sei nicht feststellbar. Anderweitigen Verdienst müsse sich der Trainer nicht anrechnen lassen, weil er bis zum 30.06.2010 kostenlos bei anderen Vereinen in Italien und Frankreich hospitiert habe.

Ca. 330.000 Euro müsse der Anwalt an den Trainer bereits jetzt zahlen, weil der Trainer seinen Netto-Verdienstausfallschaden in dieser Höhe beziffern könne. Er habe Anspruch auf die Vergütung, die er bei einer Weiterarbeit erzielt hätte. Das seien im vorliegenden Fall das im Arbeitsvertrag vereinbarte Grundgehalt und die vereinbarten Punkteprämien abzüglich ersparter Aufwendungen. Dabei seien die Prämien nach den unter den nachfolgenden Trainern tatsächlich erzielten Spielergebnissen zu berechnen. Es komme nicht darauf an, wie die Spielergebnisse mit hypothetischer Beteiligung des rausgeschmissenen Trainers ausgegangen wären. Da der Trainer durch seine vertragswidrige Suspendierung um die Chance gebracht worden sei, bestimmte Arbeitserfolge zu erzielen, könnten ihm im Nachhinein hiervon abhängige erfolgsbezogene Vergütungsbestandteile nicht versagt werden.

Anspruch auf den Bruttolohn habe der Trainer zurzeit nicht, weil er den ausgeurteilten Schadensbetrag noch der Steuer zu unterwerfen habe. Das Oberlandesgericht folgt insoweit der modifizierten Nettolohnmethode, nach der der Trainer den ihm entgangenen Nettoverdienst als Zahlbetrag verlangen könne und festgestellt werde, dass die von den Finanzbehörden auf die zuerkannte Schadenssumme später berechneten Steuern und Abgaben als weiterer Schaden zusätzlich zu erstatten seien.

Diese Entscheidung "freut" die Vermögenshaftpflichtversicherng des Anwaltes sicherlich, da diese den Schaden ausgleichen muss.

Dienstag, 25. November 2014

Am Arbeitsplatz schläft es sich so gut

Einer Stewardess im Bordservice einer Bahngesellschaft war gekündigt worden, nachdem sie in einem Zugabteil eingeschlafen war und erst nach mehreren Stunden die Arbeit aufgenommen hat.

Die Arbeitnehmerin hatte bei Dienstbeginn über Unwohlsein geklagt, sich jedoch nicht förmlich krankgemeldet. Die Arbeitgeberin hatte das Einschlafen als Arbeitsverweigerung gewertet und darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerin bereits abgemahnt worden war, unter anderem wegen Verschlafens des Dienstbeginns.

Das ArbG Köln (7 Ca 2114/14) hat der Kündigungsschutzklage der Stewardess stattgegeben.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist die Kündigung unwirksam. Es hat offen gelassen, ob die Arbeitnehmerin eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hat, indem sie sich nicht förmlich krankgemeldet hat und im Abteil eingeschlafen ist. Selbst im Fall einer Pflichtverletzung hätte es einer weiteren Abmahnung bedurft. Die bereits erteilten Abmahnungen hat das ArbG Köln für nicht einschlägig und die Kündigung damit für unverhältnismäßig gehalten.

Montag, 24. November 2014

Die Äpfel vom Nachbargrundstück

Äpfel sind köstlich und verlockend. Nicht nur die Bibel weiß gleich zu Anfang hiervon zu berichten. Verlockend waren für einen Unternehmer auch die Äpfel auf einem Nachbargrundstück - mit fast ebenso gravierenden Folgen wie ein Rauswurf aus dem Paradies.

Ein 61-jähriger Geschäftsführer eines zwischen Schwäbisch Hall und Bad Mergentheim gelegenen mittelständischen Unternehmens versucht die zwischen abgezäuntem Firmengelände und angrenzender Straße auf einem - im Eigentum des Hohenlohekreises befindlichen - Grünstreifen Apfelbäume mit einer Hakenstange abzuernten.

Dabei zog er sich einen Bänderriss in der Schulter zu, wurde anschließend operiert und leidet noch heute unter Beschwerden.

Seine Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil Äpfelschütteln keine unfallversicherte Beschäftigung gewesen sei.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Geschäftsführer geltend, der Hohenlohekreis habe sich nie um die Pflege des Grünstreifens gekümmert. Damit das Betriebsgelände einen ordentlichen Eindruck mache, hätten seine Mitarbeiter regelmäßig die Wiese gemäht und er selbst die Äpfel abgeerntet (sowie anschließend verkauft).

Das SG Heilbronn hat dennoch die Entscheidung der Berufsgenossenschaft bestätigt.

Nach Auffassung des Sozialgerichts hat das Äpfelschütteln nicht der Pflege des äußeren Erscheinungsbildes des Grünstreifens gedient und demnach auch nicht der Außenwahrnehmung des Betriebsgeländes. Denn ein angrenzendes gemähtes Grundstück werde von Firmenkunden auch dann als gepflegt wahrgenommen, wenn Äpfel auf der Wiese lägen. Dass die geernteten Äpfel privat verkauft wurden, unterstreiche, dass die Apfelernte der unversicherten Freizeit des Geschäftsführers zuzuordnen sei.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Freitag, 21. November 2014

Arbeitsrecht versus Kirchenrecht

Da streiten sich nicht nur Parteien, sondern es geht um verfassungsrechtliche Abwägungen. Darf ein Chefarzt im Krankenhaus eines katholischen Trägers nach dessen Wiederverheiratung gekündigt werden?

Das Bundesarbeitsgericht entschied über die Kündigungsschutzklage des entlassernen Chefarztes und bestätigte den vorgeworfenen  Verstoß gegen die Loyalitätsverpflichtungen. Dennoch war die Kündigung unwirksam, wegen

 1. Ungleichbehandlung - der Arbeitgeber hat nicht gegenüber allen vergleichbaren Arbeitnehmern auf die Durchsetzung der Pflichten nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse bestanden (Beschäftigung nichtkatholischer und wiederverheirateter Chefärzte, duldung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften)

2. Loyalität und Gewissenskonflikt im - unter besonderen Schutz stehenden - innersten Bezirk des Privatlebens

3. Grundrecht auf Familie und Ehe (Art. 6 GG).

Das vor dem Bundesarbeitsgericht unterlegene Krankenhaus war nicht einverstanden und zog vor das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 661/12). Dieses entschied nun gegen die Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes. 


Nach Auffassung des BVerfG sind Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden. Vertraglich vereinbarte Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen unterlägen weiterhin nur eingeschränkter Überprüfung durch die staatlichen Gerichte. Mit dieser Entscheidung bestätigt und konkretisiert das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung (BVerfGE 70, 138 ff.). Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand eines Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richte sich demzufolge allein nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags. Die staatlichen Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht. Erst auf einer zweiten Prüfungsstufe seien die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer und deren durch das allgemeine Arbeitsrecht geschützte Interessen mit den kirchlichen Belangen und der korporativen Religionsfreiheit im Rahmen einer Gesamtabwägung zum Ausgleich zu bringen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:
1. a) Soweit sich die Schutzbereiche der Glaubensfreiheit und der inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung überlagern, geht Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (sogenannte Schrankenspezialität). Bei der Anwendung des für "alle geltenden Gesetzes" (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) durch die staatlichen Gerichte ist bei Ausgleich gegenläufiger Interessen aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

b) Aus Art. 140 GG i.V.m Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Grundlage des modernen, freiheitlichen Staates ist. Diese verwehrt es dem Staat, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren.
Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind nicht nur die Kirchen selbst, sondern alle ihr zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubensdefinierten Selbstverständnis der Kirchen entsprechend ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen. Dies gilt unbeschadet der Rechtsform der einzelnen Einrichtung auch dann, wenn der kirchliche Träger sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient. Die Kirchen können die jedermann offen stehenden privatautonomen Gestaltungsformen nutzen, Dienstverhältnisse begründen und nach ihrem Selbstverständnis ausgestalten. Ganz überwiegend der Gewinnerzielung dienende Organisationen und Einrichtungen können das Privileg der Selbstbestimmung allerdings nicht in Anspruch nehmen, da bei ihnen der enge Konnex zum glaubensdefinierten Selbstverständnis aufgehoben ist.

c) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Dieses beinhaltet neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden. Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungsauftrages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken.

d) Zu dem "für alle geltenden Gesetz" i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, unter dessen Vorbehalt die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die auf Vertragsebene begründeten Arbeitsverhältnisse steht, zählen die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes. Die in diesen Vorschriften enthaltenen Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung im konkreten Einzelfall. Arbeits- und Kündigungsschutzgesetze sind einerseits im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen; andererseits darf dies nicht dazu führen, dass Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs vernachlässigt werden.

2. a) Die staatlichen Gerichte haben auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes – das kirchliche Proprium – nicht außer Acht lassen. Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich alleine nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Die staatlichen Gerichte dürfen sich nicht über sie hinwegsetzen, solange sie nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen stehen. Im Rahmen der allgemeinen Justizgewährungspflicht sind sie lediglich berechtigt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Zweifelsfragen haben sie durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden oder, falls dies ergebnislos bleibt, durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Sachverständigengutachten aufzuklären.

b) Auf einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des "für alle geltenden Gesetzes" eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Dies setzt zunächst die positive Feststellung voraus, dass der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyalitätsanforderungen und der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. In der Abwägung ist sodann ein Ausgleich der – im Lichte des Selbstbestimmungsrechts verstandenen – kirchlichen Belange und der korporativen Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen vorzunehmen. Die kollidierenden Rechtspositionen sind – nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz – in möglichst hohem Maße zu verwirklichen. Das einschränkende arbeitsrechtliche Gesetz muss im Lichte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts betrachtet werden, wie umgekehrt die Bedeutung kollidierender Rechte des Arbeitnehmers im Verhältnis zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gewichtet werden muss. Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwögen. Das staatliche Arbeitsrecht lässt "absolute Kündigungsgründe" nicht zu; eine Verabsolutierung von Rechtspositionen ist der staatlichen Rechtsordnung jenseits des Art. 1 Abs. 1 GG fremd.

3. Ob die Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, kann gegebenenfalls Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle sein. Das BVerfG ist zum Eingreifen gegenüber den Fachgerichten jedoch nur dann berufen, wenn diese tragende Elemente des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und der korporativen Religionsfreiheit einerseits oder Grundrechte des Arbeitnehmers andererseits verkennen.

4. Die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR geben insoweit keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts. Art. 11 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt die Kirchen und Religionsgemeinschaften vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf religiöse als auch auf organisatorische Fragen. Sie sind insbesondere befugt, ihren Arbeitnehmern und den die Gemeinschaft repräsentierenden Personen ein gewisses Maß an Loyalität abzuverlangen. Das Autonomierecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und die entgegenstehenden Rechtspositionen der kirchlichen Arbeitnehmer andererseits verlangen – in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben – eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. Die konventionsrechtliche Neutralitätspflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt den staatlichen Stellen hierbei ebenfalls eine eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubensinhalten. In bestimmten Ausnahmefällen ist der Staat hiervon entbunden, insbesondere wenn die Loyalitätsobliegenheit oder deren Gewichtung im Kündigungsfall gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt oder wenn sie im Ergebnis zu einer offensichtlichen Verletzung eines anderen Konventionsrechts in seinem Kerngehalt führt.

5. Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des BAG vom 08.09.2011 gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, da die bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommene Interessenabwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

a) Der persönliche Anwendungsbereich von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ist zu Gunsten der Beschwerdeführerin eröffnet. Zwar gehört weder die Beschwerdeführerin noch das von ihr getragene Krankenhaus zur amtskirchlichen Organisation. In Anbetracht der vorrangig religiösen Zielsetzung ihres Handelns und ihrer institutionellen Verbindung zur römisch-katholischen Kirche nimmt sie aber an deren kirchlichem Selbstbestimmungsrecht teil. Die religiöse Dimension tritt im Fall der Beschwerdeführerin nicht in einem Maße gegenüber rein ökonomischen Erwägungen in den Hintergrund, dass dies geeignet wäre, die Prägung durch das glaubensdefinierte Selbstverständnis in Frage zu stellen.

b) Das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe ist durch den Arbeitsvertrag sowie durch den Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 wirksam und vorhersehbar zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden. Für den Kläger des Ausgangsverfahrens, der als Chefarzt zur Gruppe der leitenden Mitarbeiter zählt, war bereits bei Vertragsschluss erkennbar, dass ein Loyalitätsverstoß durch Eingehung einer zweiten Ehe im Hinblick auf den Bestand seiner nach kirchlichem Recht geschlossenen ersten Ehe im Regelfall die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen würde. Diese Loyalitätsobliegenheit ist auf grundlegende und durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche rückführbar. Auch die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen hiergegen aufgrund der Konfession und der leitenden Stellung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Das BAG hat Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG verkannt. Es hat auf der ersten Stufe eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen und seine eigene Einschätzung der Bedeutung der Loyalitätsobliegenheit und des Gewichtes eines Verstoßes hiergegen an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt, obwohl sie anerkannten kirchlichen Maßstäben entspricht und nicht mit grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Widerspruch steht.
Dies betrifft zum einen die Wertung des BAG, dass nach der Grundordnung auch nichtkatholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden könnten und die römisch-katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachte, Führungspositionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen, sowie zum anderen den Schluss auf ein vermindertes Kündigungsinteresse aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte in zweiter Ehe weiterbeschäftigt habe. Auch die Annahme des BAG, die Beschwerdeführerin habe bereits seit längerem von dem ehelosen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst, was erkennen lasse, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht durch jeden Loyalitätsverstoß eines Mitarbeiters als erschüttert ansehe, setzt sich über den Maßstab der verfassten Kirche hinweg. Die schärfere Sanktionierung des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe beruht auf dem besonderen sakramentalen Charakter der Ehe und dem für das katholische Glaubensverständnis zentralen Dogma der Unauflöslichkeit des gültig geschlossenen Ehebandes zu Lebzeiten.

6. Das BAG wird bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG die praktische Konkordanz zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der korporativen Religionsfreiheit auf Seiten der Beschwerdeführerin und dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie dem Gedanken des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auf Seiten des Klägers herzustellen haben. Bisher hat das BAG lediglich festgestellt, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten des Klägers und seiner zweiten Ehefrau eröffnet ist. Es hat jedoch nicht dargelegt, weshalb diese Rechtspositionen gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangsverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwerdeführerin einzuräumen. Das BAG wird daher – gegebenenfalls nach Ermöglichung ergänzender Tatsachenfeststellungen – eine eingehende Gesamtwürdigung vorzunehmen haben. Den Gedanken des Vertrauensschutzes wird es insoweit zu berücksichtigen haben, als der Arbeitsvertrag – abweichend von der Grundordnung – keine unterschiedliche Bewertung eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe und eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft vorsieht und diese individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.


Donnerstag, 20. November 2014

Mindestlohn auch für Bereitschaftszeit

Bereitschaftszeiten von Arbeitnehmern führen immer wieder zu arbeitsrechtlichen Fragen, welche beantwortet werden wollen. Diesmal entschied das Bundesarbeitsgericht darüber, wie Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu vergüten sind.

Doch zunächst die Unterschiede zwischen Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst.

Bei einer Arbeitsbereitschaft muss ein Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein und sich bereithalten, um die Arbeit sofort und ohne Fremdaufforderung aufzunehmen. Im Bereitschaftsdienst muss sich ein Arbeitnehmer, ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, sich für Zwecke des Betriebes oder der Dienststelle an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufhalten, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit sofort oder bald aufnehmen kann (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18. Februar 2003 Az. 1 ABR 2/02).

Eine Arbeitnehmerin war bei einem privaten Pflegedienst als Pflegehelferin gegen ein Bruttomonatsentgelt von 1.685,85 Euro beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Pflege und Betreuung von zwei Schwestern einer Katholischen Schwesternschaft, die beide an Demenz leiden und an den Rollstuhl gebunden sind. Neben den eigentlichen Pflegeleistungen oblagen der Arbeitnehmerin auch Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung der Schwestern (wie z.B. Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Wechseln und Waschen von Wäsche). Die Arbeitnehmerin arbeitete in zweiwöchigen "Rund-um-die-Uhr-Diensten", während derer sie verpflichtet war, an der Pflegestelle anwesend zu sein. Sie bewohnte in den Arbeitsphasen im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern.

Die Arbeitnehmerin vertrat nun die Auffassung, das das Mindestentgelt in der Pflegebranche von – damals – 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV sei für jede Form der Arbeit zu zahlen.

Die Arbeitgeberin wandte ein, das die Arbeitnehmerin nicht 24 Stunden am Tag gearbeitet habe. Das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV sei nicht für Bereitschaftsdienst zu zahlen. Für diesen könne arbeitsvertraglich eine geringere Vergütung vereinbart werden.

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 -) entschied, dass das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15.07.2010 "je Stunde" festgelegt ist und damit anknüpft an die vergütungspflichtige Arbeitszeit. Dazu gehörten nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Arbeitsbereitschaft und der Bereitschaftsdienst. Während beider müsse sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle unverzüglich die Arbeit aufzunehmen. Zwar könne dafür ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit bestimmt werden. Von dieser Möglichkeit habe der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege aber keinen Gebrauch gemacht. Deshalb seien arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die für Bereitschaftsdienst in der Pflege ein geringeres als das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV vorsehen, unwirksam.

Da auch der zum 01.01.2015 geltende Mindestlohn an eine Zeitstunde anknüpft, kann meines Erachtens aus dieser Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass auch in anderen Branchen Bereitschaftszeiten mindestens mit dem Mindestlohn zu vergüten sind.

Freitag, 7. November 2014

equal pay (gleicher Lohn) für alle Leiharbeiter? Folgen des Verweisen auf DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit

Viele Leiharbeiter haben Arbeitsverträge mit Zeitarbeitsunternehmen. Um deren Anspruch auf den gleichen Lohn wie der Stammarbeiter im Leihunternehmen auszuschließen, verweisen unzählige Arbeitsverträge auf Tarifverträge. Ist eine solche Bezugnahme ausreichend, um equal pay-Ansprüche zu verhindern? Die Bezugnahme auf CGZP-Tarifverträge ging schon nach hinten los. Gilt das auch bei Zeitarbeitsverträgen mit Bezugnahme auf Tarifverträge der DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit?

Der Kollege Friedrich Schindele zieht in der NZA 2014, Seite 1049 ff. das Fazit, dass aufgrund der Beteiligung mehrerer Gewerkschaften an dem Tarifvertrag die Verträge der DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit ebenfalls mehrgliedrig sind (wie damals bei CGZP). Eine arbeitsvertragliche Bezugnahme stellt in aller Regel nicht klar und transparent dar, welcher Tarifvertrag bei welchem Einsatz nun nach § 9 AÜG für den Leiharbeiter zutreffend ist. Dies hat zur Folge, dass die Verweisungsklausel wegen Intransparenz unwirksam ist und somit alle Zeitarbeiter, deren Arbeitsverträge auf Tarifverträge der DGB Tarifgemeinschaft Zeitarbeit verweisen Anspruch auf den gleichen Lohn wie die Stammarbeiter im Leihunternehmen haben.


Mittwoch, 5. November 2014

Mißachtung einer Weisung und doch keine Kündigung

Wer als Arbeitnehmer Weisungen seines Arbeigebers mißachtet, muss Konsequenzen fürchten, bis hin zur Kündigung. Doch nicht immer ist eine Kündigung zwingend, wie nachstehender Sachverhalt aufzeigt.

Eine Arbeitnehmerin war bei einem Geldinstitut beschäftigt und Vorgesetzte von drei und später zwei Teams. Sie verfügte über eine Generalvollmacht über das bei der Bank geführte Sparbuch ihrer Mutter. Über das Sparbuch verfügte die Arbeitnehmerin in den Jahren 2010 bis 2012 insgesamt 33 mal online und buchte Beträge zwischen 500 Euro und 12.000 Euro um und zwar 29 Mal auf ihr eigenes Konto, drei Mal auf ein Konto ihrer Mutter und einmal auf das Sparbuch ihrer minderjährigen Tochter. Die Zahlungsvorgänge wurden wie vorgesehen im Rahmen des Vier-Augen-Prinzips jeweils durch einen weiteren Mitarbeiter freigegeben.

Die internen Geschäftsanweisungen des Geldinstituts sahen indes u.a. vor, dass die Mitarbeiter in eigenen Angelegenheiten weder entscheidend noch beratend mitwirken dürfen, wenn die Entscheidung ihnen selbst, ihrem Ehegatten oder einem Verwandten bis zum Dritten Grad einen unmittelbaren Vorteil bringen kann.

Das Bankinstitut erhielt Kenntnis von den Buchungen aufgrund einer Nachfrage eines Erben der inzwischen verstorbenen Mutter und kündigte die Arbeitnehmerin wegen Verstoßes gegen die internen Geschäftsanweisungen.




Hiergegen erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage - mit Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (17 Sa 637/14) hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die von der Bank – fristlos und hilfsweise fristgerecht – ausgesprochenen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist.

Unstreitig hatte die Arbeitnehmerin im Verhältnis zu ihrer Mutter die Verfügungen berechtigt vorgenommen. Gleichwohl lag in ihrem Verhalten eine erhebliche Pflichtverletzung, weil sie aufgrund der Anweisungen des Geldinstituts nicht berechtigt war, als Mitarbeiterin Buchungen zu ihren Gunsten vorzunehmen. Dadurch sollte bereits der Anschein einer Interessenkollision vermieden werden.

Die Pflichtverletzung war aber nicht so schwerwiegend, dass auf sie nicht noch durch eine Abmahnung ausreichend reagiert werden konnte.

Maßgeblich sei im Kündigungsrecht das Prognoseprinzip. Nach dem festgestellten Sachverhalt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung war nicht davon auszugehen, dass eine Abmahnung von vornherein erfolglos gewesen wäre und nicht zu einer Verhaltensänderung der Arbeitnehmerin geführt hätte.

"gut gemeint" ging nach hinten los - die abschreckende Einladung

Arbeitgeber haben es schon manchmal schwer. Da meinen Sie es nur gut mit einem Hinweis und dann bekommen sie eine Klage an den Hals wegen Diskriminierung. Vorsicht ist eben doch immer zu walten.

Ein schwerbehinderter Mensch bewarb sich bei einem Landkreis auf eine ausgeschriebene Stelle eines/r Projektmanagers/in ohne jedoch - trotz Forderung guter Fremdsprachekenntnisse in der Stellenausschreibung - Angaben zu seinen Fremdsprachenkenntnissen zu treffen.

Auf die Bewerbung hin teilte der Landkreis mit, man gebe dem Bewerber gerne die Gelegenheit zu einem Vorstellungsgespräch, wegen der geringen Erfolgsaussicht seiner Bewerbung und der weiten Anfahrt möge er aber mitteilen, ob er das Vorstellungsgespräch wünsche. Hierauf äußerte sich der Bewerber nicht. Er erschien auch zu dem wenig später angesetzten Vorstellungsgespräch nicht, sondern machte nach der Ablehnung seiner Bewerbung eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend.

Das LArbG Stuttgart (1 Sa 13/14) hat der Klage stattgegeben.

Öffentliche Arbeitgeber sind gemäß § 82 Satz 2 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 82 Satz 3 SGB IX ist die Einladung nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts verstößt die Verfahrensweise des Landkreises, dem schwerbehinderten Bewerber einerseits eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch anzukündigen, ihn aber andererseits auf geringen Erfolgsaussichten seiner Bewerbung hinzuweisen, gegen § 82 Satz 2 und 3 SGB IX. Eine solch "abschreckende" Einladung begründe die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Der öffentliche Arbeitgeber müsse den schwerbehinderten Bewerber auch dann zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn dieser nach den Bewerbungsunterlagen nicht in die nähere Auswahl komme. Der schwerbehinderte Bewerber solle den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Lediglich dann, wenn die Eignung offensichtlich fehle, dürfe der öffentliche Arbeitgeber von einer Einladung absehen. Hiervon konnte im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weil der Landkreis den Kläger trotz seiner nicht nachgewiesenen Fremdsprachenkenntnisse grundsätzlich für ein Vorstellungsgespräch in Betracht gezogen hatte.