Montag, 7. Juli 2014

Muss ein Richter aktuelle Rechtsprechung kennen?

Für Anwälte ist die Frage bereits beantwortet: Anwälte müssen - zugespitzt formuliert - alles wissen und so auch die aktuellste Rechtsprechung kennen.

Doch gilt dies auch für Richter?

Die Frage drängt sich vor folgendem Hintergrund auf.

Ein Arbeitnehmer erhält eine Kündigung. Nach der Angabe des Beendigungsdatums im Kündigungsschreiben ist die Kündigungsfrist zu kurz bemessen (um 2 Monate), obwohl der Arbeitgeber eine fristgerechte Kündigung aussprechen möchte. Der Arbeitnehmer erhebt keine Kündigungsschutzklage innerhalb 3 Wochen (§ 4 KSchG), sondern erst nach Ablauf der 2 Monate zutreffender Kündigungsfrist mit dem Begehr der Feststellung eines bestandenen Arbeitsverhältnisses über 2 Monate mehr und verlangt aus Annahmeverzug den Lohn für diese 2 Monate.

Vor dem Arbeitsgericht verliert der Arbeitnehmer mit der Begründung der Richter, dass die dreiwöchige Klagefrist nicht eingehalten sei. Im Berufungsverfahren kommt es zur Erörterung des Sachverhaltes. Das Gericht weist darauf hin, dass angesichts der Rechtsprechung des 2. Senates und des 5. Senates des Bundesarbeitsgericht die Beantwortung der Frage zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses offen sei und die Kammer sich noch nicht entschieden habe. In den Gesprächen zu einer gütlichen Einigung bringt der Arbeitgeber vor, dass der Arbeitnehmer in den 2 Monaten nicht gearbeitet habe und deshalb kein Annahmeverzugslohnanspruch bestehe. Der Richter lehnte dies ab und verwies auf die seines Erachtens schon lange anwendbare Rechtsprechung des BAG (2 AZR 362/95 vom 21.03.1996).

Aus der Vorbereitung  der Verhandlung kannte ich jedoch die Entscheidung des 5. Senates des BAG vom 15.05.2013 (5 AZR 130/12), welche genau von dieser Rechtsprechung in seiner Randnummer 22 abkehrt und ein wörtliches Angebot der Leistung für die Begründung eines Annahmeverzuges fordert, in den Fällen, in denen die Kündigung grundsätzlich wirksam und nur der genaue Beendigungszeitpunkt (Kündigungsfrist) strittig ist.

Hätte der Richter diese Entscheidung gekannt, wäre das weitere Gespräch vielleicht anders verlaufen, aber so...

1 Kommentar:

  1. Müssten Richter alles wissen und auch die aktuellste Rechtsprechung kennen, hätten sie auch Anwälte werden können. ;-)

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